BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kreisverband Bautzen

Fraktion „Bündnis Links-Grün“

Statement zum „Integrationskonzept“ des Landkreis Bautzen

12.12.2025 –

 

Wir begrüßen natürlich die mit dem „Integrationskonzept“ verbundene Weiterentwicklung des Vorläufers, der Leitlinie zur Integrationspolitik von 2016. Es ist deutlich umfangreicher ausgefallen als seinerzeit die Leitlinie, aber das Integrationskonzept bleibt in großen Teilen auf einem sehr allgemeinen Niveau (z. B. „Integration fördern“, „Netzwerke stärken“, „Austausch ermöglichen“).

Die allzu häufige Verwendung des Wortes „sollen“ oder noch mehr „sollte“ lässt rein sprachlich schon den Charakter des Konzeptes erkennen: Es handelt sich um mehr oder weniger präzise Empfehlungen und nicht um ein verbindliches Konzept, mit dem gearbeitet werden kann.

Zudem greift die Grundannahme des Konzeptes zu kurz: Integration wird weitgehend auf Arbeitsmarktintegration reduziert. Doch Integration ist wesentlich umfassender – sie betrifft Wohnen, Bildung, Teilhabe, Sicherheit, soziale Einbettung, Zugang zu Behörden, Schutzrechte und gesellschaftliches Miteinander. Diese Dimensionen finden im Konzept kaum Resonanz.

Ein starkes Defizit besteht zudem darin, dass überhaupt keine präzise Analyse der vorliegenden Situation erfolgt. Eine solide Bedarfsanalyse (Bedarfs- und Potentialanalyse, Angebotsanalyse) fehlt, obwohl sie im Konzept selbst gefordert wird.

Ein Blick in den Sachstandsbericht zur Umsetzung der Leitlinie Integration von 2016, der zumindest öffentlich abrufbar von zuletzt 2019 stammt, zeigt, dass deutlich mehr möglich ist. Gibt es seit sechs Jahren keine gleichwertigen Sachstandsberichte mehr?

Als Beispiele seien genannt: Es fehlen grundlegende Informationen zu Sprachniveaus, Bildungsabschlüssen oder -niveaus, es gibt keine Angaben zur Arbeitsmarktintegration und keinerlei regionale Differenzierung.

Gerade im Landkreis Bautzen mit seinen klar ausgeprägten Unterschieden zwischen ländlichen Räumen, Kleinstädten, Mittelzentren und sorbischen Gebieten wäre eine solche differenzierte Analyse zwingend notwendig. Integration verläuft in Kamenz, Bautzen, Hoyerswerda oder Crostwitz nicht identisch – aber das Konzept arbeitet, als gäbe es nur „den“ Landkreis.

Dann ist es natürlich folgerichtig, dass es auch keine konkreten, messbaren Ziele gibt.

Wie viele Menschen sollen Sprachkurse erreichen? Welche Fortschritte bei Teilhabe, Bildung oder Integrationsprozessen sollen erzielt werden?

Es wird zwar von Erfolgsindikatoren gesprochen, aber weder Beispiele noch Zielgrößen oder Evaluationszyklen genannt – obwohl die Verordnung sie klar vorsieht.

Ohne definierte Messpunkte bleibt das Monitoring unverbindlich und wirkungslos.

Das Konzept erklärt Integration zwar zur zentralen Aufgabe unserer Zeit und formuliert das Ziel eines inklusiven Umfelds, in dem sich alle Menschen willkommen fühlen sollen, aber der Text bleibt weit hinter der Aufgabe zurück, einen echten strategischen Rahmen zu entwickeln.

Ein weiterer struktureller Widerspruch fällt besonders auf: Das Konzept definiert zwar den Begriff „Migrationshintergrund“, verwendet diese Definition aber im Methoden- und Analysebereich nicht. Stattdessen wird nahezu ausschließlich auf den Ausländeranteil abgestellt – ein Ansatz, der die tatsächliche Bevölkerungsstruktur stark verzerrt und gesellschaftliche Realitäten unsichtbar macht.

Eine Merkwürdigkeit ist uns beim Lesen des Konzeptes besonders aufgefallen: Integration und Rückkehr scheinen als gleichwertige Ziele behandelt zu werden. Das erscheint integrationspolitisch fragwürdig, denn Formulierungen wie „wenn sich keine Bleibeperspektive abzeichnet“ vermischen Asylrecht mit Integrationspolitik.

Dabei machen die Zahlen deutlich: Rund 95 % der nichtdeutschen Bevölkerung im Landkreis verfügen über einen Aufenthaltstitel oder Freizügigkeitsrecht.

Trotzdem erhält die Rückkehrberatung ein eigenes Kapitel und – laut Darstellung der Mittelverteilung – überproportionale Ressourcen. Die große Mehrheit der über 12.500 Menschen mit Bleibeperspektive wird dagegen nur grob und undifferenziert adressiert.

Dies ist sowohl fachlich als auch politisch eine Fehlgewichtung und steht im klaren Widerspruch zu den Zielen der Fachkräfteallianz.

Ein weiterer zentraler Kritikpunkt: Das Integrationskonzept bildet weder die Bestellung einer unabhängigen Integrationsbeauftragten ab, noch die Rolle dieser Stelle – obwohl die Bestellung gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 60 Abs. 3 SächsLKrO).

Stattdessen plant der Landkreis die strukturelle Einbettung der Stelle in das Welcome Center – eine Einheit mit einem klaren arbeitsmarktbezogenen Fokus.

Das widerspricht dem gesetzlichen Auftrag der Unabhängigkeit, verengt den Aufgabenbereich systematisch und schwächt die politische Funktion der Stelle.

Hinzu kommt: Eine 0,5-Stelle ist völlig unzureichend, um die inhaltliche Breite des gesetzlichen Mandats abzudecken.

Im Konzept fehlen außerdem wesentliche Elemente zeitgemäßer Integrationsarbeit:

  • Diskriminierungsschutz, struktureller Rassismus, rechte Gewalt

  • politische Teilhabe und demokratische Beteiligungsstrukturen

  • Wohnraumfragen und insbesondere die dezentrale Unterbringung

  • Umgang mit besonders schutzbedürftigen Personengruppen

  • Integration von Geduldeten und Menschen mit unsicherem Status

  • kommunale Konfliktprävention und Moderationsstrukturen

Angesichts der bekannten politischen Polarisierung im Landkreis wären diese Themen unverzichtbar.

Nicht zuletzt ist unklar, wie die im SITG vorgesehenen Mittel eingesetzt werden sollen.

Das Konzept erwähnt hochgradige Ressourcenabhängigkeit, bleibt aber ohne Personalplanung, ohne Priorisierung und ohne nachvollziehbare Struktur.

Ein Konzept ohne Untersetzung bleibt eine Absichtserklärung.

Das Konzept richtet sich überwiegend an Behörden und Verwaltungseinheiten, während Migrant*innen, Vereine, Unternehmen, Kirchen, Nachbarschaften und zivilgesellschaftliche Initiativen zwar erwähnt, aber nicht systematisch beteiligt wurden.

Ein Integrationsbeirat wird nur als Möglichkeit erwähnt – nicht als notwendige Struktur kommunaler Mitgestaltung.

Ein weiterer grundlegender Punkt: Integration ist eine kommunale Pflichtaufgabe.

Sie braucht professionelle Strukturen, strategische Planung, ausreichende personelle Ressourcen – und darf nicht über minimale Sachkostenbudgets ins Ehrenamt ausgelagert werden.

Vieles im Konzept bleibt Wunschdenken, statt dass eine realistisch umsetzbare Strategie vorgelegt würde.

Das vorgelegte Papier beschreibt eher den Auftrag, endlich eine umfassende Analyse durchzuführen, als dass ihm eine fundierte Analyse zugrunde liegt.

Abschließend: Unsere Kritik richtet sich ausdrücklich nicht gegen die Mitarbeitenden, die unter schwierigen Rahmenbedingungen arbeiten. Die strukturellen, politischen und planerischen Defizite liegen auf Leitungsebene.

Wir fordern eine substanzielle Nachbesserung und die Untersetzung mit klaren Maßnahmen, Ressourcen und Prioritäten in dem Umfang, der notwendig ist.

Nur so kann ein Konzept entstehen, dem wir am Ende auch zustimmen können – und das dem Anspruch gerecht wird, Integration im Landkreis Bautzen wirklich zu gestalten.

 

Bautzen, 08.12.2025