Eine Antwort auf die Rede von OB Dantz bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus

Stadtrat Jörg Stern

28.01.2023 –

 

Kamenz Oberbürgermeister Roland Dantz hielt am 27.01.2023 in Kamenz an der KZ-Gedenkstätte eine Rede, die nicht nur von mir in Teilen als unerträglich empfunden wurde. Er missbrauchte die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus einschließlich des Holocausts für prorussische Propaganda.

So bezeichnete er viele Ukrainer als Nazis, die russische Kriegsgefangene in die Kniee schießen, erwähnte aber mit keinem Wort die russische Aggression, die Annexion ukrainischen Territoriums und die tagtäglichen russischen Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung (außer einer kurzen Erwähnung von Butscha). Daraus folgend kritisierte er in scharfen Worten die deutsche Politik, Äußerungen deutscher Politiker und insbesondere die Lieferungen der Leopard-Panzer, die er mit dem Vorrücken der Panzer im deutschen Eroberungs- und Vernichtungskrieg von 1941 gleichsetzte. Er sei für Frieden, womit er suggerierte, dass Menschen anderer Meinung für einen Krieg seien.

Meine Antwort:

Wir stehen hier, 78 Jahre nach der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee, an der Gedenkstätte für das ehemalige KZ in Kamenz und gedenken der 200 Toten, die hier durch die unmenschlichen Verhältnisse ums Leben kamen oder ermordet wurden.

Wie konnte so etwas geschehen?

Es konnte geschehen, weil viele Deutsche der verbrecherischen Ideologie des Nationalsozialismus folgten, weil andere sich passiv verhielten aus Angst oder Gleichgültigkeit und nur wenige den Mut zum Widerstand oder zumindest zu humanen Handeln fanden.
Unsere Verantwortung heute ist, aktiv gegen jede Form von Rassismus und Menschenverachtung aufzutreten und Hassbotschaften nicht hinzunehmen. Demokraten müssen bei allen inhaltlichen Unterschieden bei der Verteidigung unserer freiheitlichen Ordnung zusammenstehen.

Warum kamen in Kamenz Menschen aus vielen Ländern Europas ums Leben?

Wir lesen die Namen der Toten, die aus Polen, Frankreich, Italien, der Ukraine, aus Russland und aus anderen Völkern und Nationen stammten.
Dem imperialistischen Aggressor Nazideutschland stand lange Zeit kein geeinter Gegner gegenüber. Der Westen ließ Hitler bei Aufrüstung und Machtgewinn gewähren und tat auch nichts, als er Österreich annektierte. Besonders verwerflich war, als der französische Präsident Daladier und der britische Premierminister Chamberlain 1938 mit dem Münchener Abkommen die demokratische Tschechoslowakei Hitler zum Fraß vorwarfen. Sie wurden zuhause begeistert gefeiert, weil viele dachten, damit wäre der Friede langfristig gesichert. Wenige Monate später überfiel Deutschland Polen und der 2. Weltkrieg begann.

Vergleiche hinken manchmal und Putin ist nicht Hitler…

Putin hat aber als das schlimmste Unglück des 20. Jahrhunderts den Zerfall der Sowjetunion bezeichnet, nicht vielleicht den 2. Weltkrieg mit dem Holocaust. Sein Ziel ist es seit langem für Russland den Status als Weltmacht zurückzuerlangen und dazu will er skrupellos (und mit allen Mitteln?) sein Machtgebiet erweitern.
Der Krieg begann 2014 mit der Annexion der Krim, die ohne große Gegenreaktion des Westens bzw. der Weltgemeinschaft blieb. Wenige Monate später unterstützte er mit Offizieren (im Urlaub?), Geheimdienst und Waffenlieferungen die Separatisten im Donbass, was zum Bürgerkrieg führte.
Die von Putin vorgebrachten Gründe für die Aggression sind völlig unglaubwürdig, es ging nie eine militärische Bedrohung von der Ukraine für Russland aus. Die Ukraine, Anfang der 90er Jahre die drittgrößte Atommacht der Welt, gab alle diese Waffen an Russland ab, wofür ihr im Bukarester Abkommen von 1994 die territoriale Integrität von Russland und den USA garantiert wurde. Dieses Abkommen und das Völkerrecht hat Russland massiv gebrochen, was auch die Weltgemeinschaft so sieht. Nur die abhängigen blutigen Diktaturen von Belorussland, Nordkorea, Syrien und Eritrea haben in der UN-Generalversammlung mit Russland für die Aggression gestimmt.

Die Osterweiterung der NATO erfolgte auf den Wunsch der betreffenden unabhängigen Staaten, die sich von Russland zu Recht bedroht fühlten (Polen, baltische Staaten), wie jetzt auch die lange Zeit neutralen Schweden und Finnland. Es wurden nie Atomwaffen in diesen Ländern stationiert.

Es gab den ukrainischen Nationalismus, der sich durch den Krieg verstärkt hat, und der sich u.a. in der nicht gleichberechtigten Behandlung der russischen Sprache zeigte. Ein Genozid an der russischen Bevölkerung ist eine grobe Lüge. Den russischsprachigen jüdischen Präsidenten Selenskij und seine Umgebung als Nazis darzustellen ist völlig daneben.

Die Ukraine hat, wie jedes angegriffene Land, das Selbstverteidigungsrecht und benötigt Hilfe gegen den weit überlegenen Gegner. Das gebieten Solidarität, das Völkerrecht und auch das Abwägen der Folgen von fehlender Unterstützung für die Ukraine. Das Ziel von Bundeskanzler Scholz und der deutschen Regierung ist, dass Russland nicht siegt, nicht die totale Niederlage Russlands.

Auch ein gerechter Krieg hat schlimme Folgen, kann aber notwendig und richtig sein, wie die Zerschlagung des Nationalsozialismus durch Rote Armee und Westalliierte zeigte.

Wie kann ein Frieden erreicht werden?

Der Frieden wäre sofort erreicht, wenn Russland die Aggression beendet und die annektierten Gebiete verlässt.

Ein Sieg Russlands hätte katastrophale Folgen: wahrscheinlich Aggressionen gegen weitere Länder, wie von führenden russischen Politikern, Militärs, Propagandisten angekündigt (Moldau, Georgien…), eine unvorstellbare Flüchtlingswelle und dauerhafte Kämpfe im Land, da eine Unterwerfung unter Putins Diktatur für die meisten Ukrainer keine Option ist.

Ein Waffenstillstand an der heutigen Frontlinie würde nach den Erfahrungen in der Ostukraine nicht zum Frieden führen, sondern zu einer dauerhaften Auseinandersetzung, die jederzeit wieder zum großen Krieg führen kann. Ein Waffenstillstand wirkt zurzeit illusorisch, weil beide Seiten auf ihre Bedingungen bestehen, d.h. Russland will die annektierten Gebiete behalten, die Ukraine den vollständigen Rückzug der russischen Truppen. Er wäre wahrscheinlich nur eine Atempause, um neue Kriegshandlungen vorzubereiten.

Trotzdem sind diplomatische Kanäle nach Moskau immer offenzuhalten, um die weitere Eskalation zu stoppen und vielleicht doch einen Frieden zu erreichen.


Jörg Stern, Stadtrat in Kamenz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN